Und immer wieder Klemperer


Victor Klemperers „LTI – Sprache des Dritten Reiches“ (erschienen 1947) gehört zu den Büchern, die mein Leben maßgeblich geprägt haben. Immer und immer wieder ziehe ich es zu Rate. Nicht nur aus historischen Gründen, sondern, um die eigene Aufmerksamkeit zu trainieren. Ich kann mir mein politisches Leben ohne dieses Buch nicht vorstellen. Es ist zum Fundament meines Denkens geworden.
Was ist die Botschaft dieses Buches?
Achtet auf die Sprache! Denn an der Sprache zeigt sich, was kommen wird. An der Sprache kann man ein Beben erkennen, bevor es eingetreten ist. Sprache ist wie ein Seismograph. Ändert sich die Sprache, wird sich bald das Handeln ändern. Klemperer hat die Notizen zur Sprache des Nationalsozialismus in der Not geschrieben, um sich als Linguist, der er war, sinnvoll zu beschäftigen, trotz Arbeitsverbot.
Dieses Buch hat nicht nur mir geholfen, während der Zeit des DDR-Sozialismus die „offiziellen Verlautbarungen“, wie sie zum Beispiel im „Neuen Deutschland“ zu lesen waren, zu decodieren. Dieses Buch hat nicht nur mir die Augen geöffnet für die eigentlich gemeinte Wirklichkeit hinter der veröffentlichten Sprache.
Dieses Buch ist auch eine Anregung, mit der Gegenwartssprache aufmerksam zu sein.
Besonders wichtig ist die genaue Beobachtung der Sprache im Themenkomplex, der sich um die Worte „Flüchtlinge“, „Asyl“, „Asylrecht“ etc. abbildet.
Denn in kaum einem Politikfeld ist die Sprache so verschleiernd, so vernebelnd, so unklar wie in diesem Themenbereich. Und das hat Gründe.
Da ist zum Beispiel davon die Rede, Afghanistan sei „hinreichend sicher“, um Flüchtlinge dorthin „abzuschieben“. („Abschiebung“ übrigens ist ein Wort der LTI).
Es ist offenkundig, dass Afghanistan kein sicheres Land ist. Eher im Gegenteil. Die Unsicherheit im Lande nimmt Tag für Tag zu, die Belege dafür sind zahlreich. Dennoch hört man aus dem Bundesinnenministerium, das Land sei „hinreichend sicher„. Der Bundesinnenminister ist sich auch nicht zu schade, der Öffentlichkeit zu erklären, „ein Drittel“ der gestern von Frankfurt aus nach Afghanistan abgeschobenen Menschen sei „kriminell“ gewesen. Die Botschaft solcher öffentlichen Rede soll sein: „Im Grunde sind sie alle so“.
Die ZEIT hat in einem längeren Text die Genese solcher verschleiernden Begriffe aufgezeigt. Wer diesen Text aufmerksam liest, teilt vielleicht meine Erschütterung. In den Tiefen eines Bundesministeriums, in den Referaten und Abteilungen kommen solche „Wortdrechseleien“, solche verschleiernden Worte aufs Papier. Irgendein Referatsleiter denkt sich eine solche Formulierung aus, damit möglichst freundlich, möglichst elegant klingt, was nicht freundlich und schon gar nicht elegant ist. Der Minister achtet mit der gesamten Leitung des Ministeriums auf eine entsprechende „Sprachregelung„. Ich weiß, wovon ich rede.

Um zu verhindern, dass insbesondere aus Afrika Menschen zu uns kommen, schließt die Bundesregierung nun mit nicht wenigen Staaten Abkommen ab. Solche Abkommen sind im Munde der Bundeskanzlerin „Migrationspartnerschaften„.  Gemeint aber sind politische Deals. Europa gibt Geld, damit afrikanische Regierungen dabei helfen, dass Afrikaner in Afrika bleiben und sich nicht auf den Weg nach Europa machen.
Alle diese verschleiernden Worte dienen der Abwehr von Flüchtlingen. Man muss keine Mauern bauen, um Flüchtlinge „abzuwehren“.
Worte genügen.

Dahinter tritt ein Denken zu Tage, das nur ein Ziel hat: die Abwehr.
Das Wort „Flüchtling“ ist auf diese Weise, Schritt für Schritt, Wort um Wort, Veröffentlichung um Veröffentlichung für nicht wenige Menschen zu einem Synonym für „Bedrohung“ geworden.
So entstehen Feindbilder.
Und wer auf Wilhelm Heitmeyer hört, der wird die Gefahr erkennen, die in solcher „gruppenbezogenen Fremdenfeindlichkeit“ liegt: am Ende richtet sich die Kraft einer Gesellschaft gegen die schon längst von der Sprache ausgemachten „Feinde“.

Stefan Zweig hat darauf hingewiesen, dass die Veränderungen, die am Ende zur Katastrophe führten, während der Zeit des Nationalsozialismus „Schritt für Schritt“ kamen. Es waren leise Veränderungen. Ein Raunen nur. Eine kaum merkliche Veränderung der Sprache. Kaum hatte man sich an eins dieser Wörter gewöhnt, kam die nächste Eskalation. Bis man sich auch daran gewöhnt hatte.
Heitmeyer spricht deshalb von „Gewöhnungsgewinnen„.
Diese Gewöhnung an die „neue Sprache“ – die ist eines der größten Probleme.
Wer sich anschaut, wie sich die veröffentlichte und mittlerweile öffentliche Sprache im Zusammenhang mit dem Thema Flucht und Migration seit dem öffentlichen Auftreten von AFD, von Pegida & Co verändert hat, der bekommt ein ungefähres Gefühl dafür, was da kommt.
Wenn auch die sogenannten etablierten Parteien mittlerweile völlig unverblümt von „Asylmissbrauch“ sprechen und damit „Abschiebungen“ begründen, dann sieht man, wie das gegangen ist: von ganz rechts außen kam das Wort. Und nun ist es mitten im alltäglichen Sprachgebrauch.
Die unterlegte, (noch) nicht ausgesprochene Grundthese dabei lautet: „die sind alle kriminell. Die missbrauchen alle unsere Großzügigkeit. Die gehören alle „abgeschoben““. Das genau ist die Absicht derjenigen, die ihre „gruppenbezogene Fremdenfeindlichkeit“ längst in Hass gewandelt haben.

Wenn aber die veröffentlichte Sprache solche Rede übernimmt, ohne zu reflektieren, was da eigentlich vor sich geht – dann zieht der Hass ein in die ganze Gesellschaft. Und dieser Hass richtet sich dann stets gegen die Schwächsten, gegen die, die Hilfe brauchen.
Es beginnt mit der Sprache.

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