Lieber Markus Beckedahl


wir kennen uns nicht persönlich, gestatten Sie mir dennoch, Ihnen diese Zeilen zu schreiben.
Sie sind Jahrgang 1976, ich bin Jahrgang 1957, uns trennen also knapp zwanzig Jahre.
Dennoch verbindet uns sehr viel.
Ich bin in der zweiten deutschen Diktatur aufgewachsen. Zwischen 1957 und 1989 habe ich politisch denken gelernt und gelernt, dass es sich lohnt, demokratische Grundrechte zu verteidigen. Und zwar gegen einen“Staat“, der sich „demokratisch“ nannte.
Gemeinsam mit vielen anderen habe ich dafür gearbeitet, dass die zweite deutsche Diktatur zu Ende ging.
1989 war es dann so weit. Es war ein gutes Jahr.
Wir hatten damals geglaubt, wir hätten den Geheimdienst besiegt. Das war allerdings ein fataler Irrtum. Denn wir sehen nun, 25 Jahre später, dass die „Dienste“ stärker als je ihre Arbeit tun. Und das Parlament, das sie eigentlich kontrollieren müsste, ist in einem beklagenswerten Zustand.
Der Geheimdienst der DDR hatte beinahe unsere komplette Familie „auf dem Schirm“. Ich weiß also, was Überwachung ist (19 IMs). Und ich weiß auch, wozu „Staatsorgane“ fähig sind, wenn sie ihre Macht bedroht glauben.
Ich hatte als Jugendpfarrer viel mit jungen Menschen zu tun, die mit dem „Staat“ und insbesondere mit der Staatssicherheit Probleme hatten. Wir haben sie beraten. Wir haben im Rollenspiel eingeübt, wie man so mit der „Stasi“ umgehen konnte, dass die jungen Leute keinen Schaden nahmen. Es war nützlich.
Die Grundregel lautete: Es gibt nur ein wirksames Mittel gegen einen Geheimdienst. Offenlegung dessen, was er tut.
Deshalb ist es richtig, was Sie mit Ihren Kollegen bei netzpolitik.org tun.
Sie tun ganz offensichtlich das Richtige, denn sonst hätte der Generalbundesanwalt nicht Ermittlungen gegen Sie wegen des Verdachts auf „Landesverrat“ eingeleitet.
Nehmen Sie es als einen Ritterschlag.
Man nimmt Sie ernst. Und das ist auch gut so.
Denn die Grundwerte unserer Demokratie sind eine ernste Sache.
Die Pressefreiheit ist ein sehr hohes Gut, für das ich lange Jahre meines Lebens gestritten habe, als es noch schwerer war als heute. Damals hatten wir noch nicht die Möglichkeiten des Internets, wir mussten uns mit mühsam vervielfältigten Zetteln, abgetippten Büchern und sehr viel persönlichen Treffen behelfen.
Heute gibt es bessere Möglichkeiten, eine „Gegenöffentlichkeit“ zu dem, was die Dienste tun,herzustellen.
Allerdings sind auch die Möglichkeiten der Dienste in einem Maße gewachsen, dass es so manchem früheren Stasi-Offizier die Tränen in die Augen treibt.
Ein Stasi-Offizier hat in den Wendejahren einmal vor einer Fernsehkamera gemeint: „Wir haben mit allem gerechnet. Aber nicht mit Euren Kerzen“. Damit waren die Männer und Frauen gemeint, die sich damals auf den Straßen Ostdeutschlands versammelten und „Stasi in die Produktion!“ auf ihre Plakate geschrieben hatten.
Wir wollten freie Wahlen und wir wollten Versammlungs- und vor allem Pressefreiheit.
Diese Pressefreiheit steht nun erneut zur Diskussion.
Nicht nur die Pressefreiheit ist in Gefahr, wenn ein Generalbundesanwalt gegen Journalisten vorgeht, die eben die Grundlagen der Demokratie verteidigen, sondern die Demokratie selbst ist bedroht. Es gibt Zeiten, da muss sich die Demokratie gegen den Staat und seine Organe wehren. Und zwar genau dann, wenn der Staat und seine Organe versuchen, die Grundlagen der Demokratie zu beschneiden. Dieser Zeitpunkt ist jetzt.
Ich hätte damals nicht geglaubt, dass es in Deutschland wieder so weit kommen könnte, dass ein Generalbundesanwalt gegen Journalisten wegen „Landesverrat“ vorgeht, weil sie Dokumente veröffentlichen, die den Interessen der Dienste widersprechen. Aber so ist es nun.

Lieber Markus Beckedahl, mir steht es nicht zu Ihnen zu raten. Sie machen Ihre Arbeit gut.
Ich will Ihnen aber dennoch sagen: man wird versuchen, Sie zu diskreditieren.
Man wird versuchen, Ihre Arbeit schlecht zu machen.
Man wird versuchen, Ihren Leumund zu schädigen. Man wird versuchen „falsche Zeugen“ gegen Sie in Stellung zu bringen.
All das sind mir sehr bekannte Instrumente der Geheimdienste. Das ist Werkzeug aus ihrem „Alltagskoffer“.
Lassen Sie sich nicht davon beeindrucken.
Denn die Grundwerte unserer parlamentarischen Demokratie, die in diesen Tagen und Wochen in hohem Maße gefährdet sind, werden sich als stärker erweisen.

Ich wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Arbeit.

Ulrich Kasparick
Parlamentarischer Staatssekretär a.D.
Pastor

10 Gedanken zu “Lieber Markus Beckedahl

  1. Sind wir noch? Und wenn ja, wie viele?

    Die Technologie, die scheinbar vieles einfacher macht, würde heute für die meisten zur bösen Falle.

    1. Ein gutes Gefühl, zu wissen, das andere genauso denken, wie man selbst. Man ist also doch noch nicht irre, sondern Irren haben die Macht….

  2. Lieber Ulrich, hab vielen Dank für diesen Text, der vielen Menschen unserer Generation aus der Seele spricht.
    Herzliche Grüße!
    Friedrich v. Kymmel

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