Etwas von der Wissenschaft – Balkh University Mazar i Sharif.


Heute setze ich den Reisebericht von 2003 fort: Im „Reisetagebuch“ hatte ich am 23. Juli 2003 notiert:
„Irgendwann früh gegen vier ruft der Muezzin und erinnert uns an die Grenze, die uns gesetzt ist: „Gott ist größer – allahu akbar“. Das ganze Land beginnt mit einer „Morgenandacht“. Man stelle sich das für unser Land vor! Früher hatten im christlichen Abendland die Glocken eine solche Bedeutung. In manchen Dörfern gibt es wenigstens noch das „Abendläuten“ um 18 Uhr. Wie weit wir doch weg sind von parktizierter Religiosität im sogenannten „christlichen Abendland“! Dieses Land hier „atmet“ den Islam. Man darf das nie vergessen bei allem, was man hier sieht. Dieses Land ist ein religiöses Land. Dieses Land ist ein spirituelles Land.
Wie soll der Dialog mit dem Islam gelingen, wenn das „christliche Abendland“ gar nicht mehr um seine Wurzeln weiß? Wie soll man den „interreligiösen Dialog“ führen, wenn die eine Seite gar nicht mehr weiß, welche Religion sie eigentlich hat?
Es gibt im Westen arrogante ungebildete Menschen, die glauben, der Islam müsse erst mal die Aufklärung durchmachen, die auch das Christentum durchgemacht habe. Diese Menschen verstehen nichts. Sie wissen nichts von Spiritualität. Sie wissen nichts von den Sufis, nichts von den Naqsbandhias, nichts von Rumi und den „tanzenden Derwischen“, die in ihrem wild kreisenden Tanz Gott ehren, der größer ist als alles, was Menschen so zustande bringen. Heutzutage kann man in der Tü´rkei die tanzenden Derwische als Touristenattraktion besichtigen, da ist allerdings auch nicht mehr viel von den ursprünglichen Wurzeln dieses Gebetstanzes zu erkennen. Wer weiß denn im Abendland noch, daß der Tanz die älteste Gebetsform ist, die wir kennen?
Wie soll ein Dialog gelingen zwischen einem weitgehend atheistischen Westen, der als seine „Religion“ nur noch das Wachstum und den Dollarkurs kennt – und einem religiösen Osten nach dem 11. September? Wie soll sich ein religiöse Afghane verständigen mit einem Amerikaner oder Deutschen oder Engländer oder Franzosen, der im Grunde nur am Erdöl zur Sicherung seiner Energieversworgung interessiert ist? Was soll man reden mit jemandem, der unter „Fortschritt“ lediglich das Wachstum seiner eigenen Volkswirtschaft versteht?
Es wird schwer werden mit dem Gespräch. Es ist eine große Aufgabe. Aber der 11. September hat eben auch dies gezeigt: wir werden reden müssen! Wir werden uns verständigen müssen über die Ziele, zu denen wir unterwegs sind. Wir werden uns verständigen müssen über die „basics“, von denen aus das Leben zu begreifen ist. Eins scheint mir sicher: Der Westen wird zu seiner eigenen Spiritualität (ich rede nicht von Volkskirchlichkeit!) zurückkehren müssen, billiger ist der Dialog nicht zu haben.
Solche Spiritualität ist im Westen noch verborgen in manchen Klöstern. Man kann sie finden in einigen Gemeinden. Da ist noch Glut unter der Asche.
Dies geht mir durch den Kopf, als ich morgens erwache irgendwo im tiefen Afghanistan in Mazar i Sharif. Man wacht auf und sieht als erstes den Halbmond am Himmel. Was für ein Symbol!
Sehr früh, zwischen vier und fünf, beginnt auch schon das Leben in der Familie. Man nutzt die kühleren Morgenstunden. Ich bin als erster auf, halb sechs genieße ich die „Dusche“. Sogar Strom für den Rasierer ist da.
Dann wacht unser Fahrer auf. „Ich hab gut geschlafen“ sagt Sultan Paiwand. „Das reicht jetzt wieder für zwei Tage.“
In den letzten Tagen hatte er verdammt wenig geschlafen, gestern nur zwei Stunden. Wir hatten uns deswegen schon Sorgen gemacht, denn wir waren von seinen Fahrkünsten abhängig.
Zeit für das Tagebuch; Zeit, die diktierten Notizen vom Vortag abzuhören. Dann sind alle fertig. Das Frühstück wird im Hof serviert: die Decke wird gebracht und dann das Geschirr, das Obst, Eier und Marmelade. Gastfreundlich sind sie, die Afghanen, es ist wunderbar!
Unser erster Termin heute: die Universität.
Wir haben uns durch das Gewimmel von jungen Leuten durchgekämpft und sitzen nun in der Universität im Zimmer des Rektors. Der Chan, Herr Habibullah Habib, ein etwas vierzigjähriger Mann im grauen Anzug, gibt uns einen Überblick über die „Balkh University“. Er lobt die deutsch-afghanische Zusammenarbeit, insbesondere die Rolle Deutschlands beim Wiederaufbau.
„Deutschland kann uns helfen, denn wir sind ein starkes Land“ sagt er. „Wir sind vielleicht nicht das stärkste Land, aber das zweitstärkste können wir sein“. Zusammenarbeit mit Deutschland gibt es im Bereich der Pharmazie und der Wirtschaftswissenschaften. Man arbeitet über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) mit Deutschland zusammen. Etwa 200 Lehrer und Studenten sind schon ausgetauscht worden nach Deutschland, allerdings von der Universität in Kabul. Von Mazar waren bislang erst zwei Lehrer „draußen“, und zwar der Vizepräsident der Uni und ein Landwirtschaftsfachmann. Der Rektor selbst war jetzt auch in Deutschland, um Kontakte zum DAAD aufzunehmen. An der Reise beteiligt waren Lehrer von acht afghanischen Universitäten. Man hatte in Deutschland eine richtig große Rundreise vorbereitet, so dass die Afghanen mit vielen Universitäten in Kontakt kamen. Man hat Zusammenarbeiten im Bereich der Stomatologie vorgeschlagen, man fängt in der nächsten Zukunft mit eigenen Ausbildungsgängen an, die an deutsche Ausbildungsgänge angeglichen sind. Man hat ein spezielles Interesse an Sicherheitstechnik und Kriminalistik merkwürdigerweise.
„Die Tatsache, dass ihr hier seid zeigt uns, dass ihr mit uns zusammenarbeiten wollt“ sagt der Rektor augenzwinkernd. Die Universität arbeitet seit 17 Jahren. 4.000 Studenten sind eingetragen. Es ist noch eine junge Universität. Acht Fakultäten: Medicine, Literature, Oeconomics, Political Science, Agriculture, Islamic Religion, Education.
Wir unterbrechen kurz, weil das Lokalfernsehen dazu kommt, um von unserem Besuch mit dem „member of German Parliament“ zu berichten.
300 Mitarbeiter der „academy staff“ hat er, berichtet der Rektor weiter. Viele davon müssen jedoch tagsüber arbeiten und können erst abends „Studium machen“, weil sonst das Gehalt nicht reicht. Im Balkh-District gibt es noch eine zweite akademische Einrichtung. Es gibt eine Zusammenarbeit mit Journalisten-Fachschulen. Man hat auch einen Publikationskurs, der von den Studenten selbst gemacht wird. Es gibt eine Zusammenarbeit zwischen Dozenten und Studenten im kulturellen Bereich: man macht Literatur zusammen, musiziert zusammen, macht Gedichte gemeinsam. Zwischen 18.000 und 20.000 Bücher unfasst die Bibliothek. Es gibt auch ein aktives Komitee für Umweltentwicklung.
Man gestaltet eine ganze Reihe von Konferenzen von der Universität aus.

Studentenzimmer Balkh-University Mazar i Sharif. Foto: Martin Zenker
Prüfungsvorbereitungen. Balkh-University. Foto: Martin Zenker

Es gibt ein gewaltiges Problem an der Hochschule: man hat zu wenig Platz für die Studenten. Die Studenten leben unter sehr sehr schlechten Bedingungen. Sie haben nur einen minimalen Platz im Wohnheim: die Zimmer sind belegt mit bis zu 16 Betten. Keine Air Condition, kein Strom, damit auch keinen Zugang zu Laptop und Internet! In dieser Hitze und dann mit fünfzehn Leuten auf dem Zimmer, das ist Horror. Aber die Studenten sind freundlich!
Dem Rektor ist bewusst, dass man beim Aufbau der Uni in Konkurrenz steht zu den anderen Bereichen der Gesellschaft, die aufgebaut werden müssen. Man muss um die wenigen Mittel kämpfen. Man will jetzt von der Regierung 600 Morgen Land kaufen, um zu erweitern. Man ist zuversichtlich, mit den Regierungsautoritäten voran zu kommen, um erweitern zu können. Man erwartet auch von den deutschen NGOs Hilfe bei diesen Projekten an der Uni. Die Uni ist noch nicht ans Internet angeschlossen, Bücher braucht man auch. Alle vorhandenen Bücher sind geschenkt. Die Hochschule hat kein Budget für Bücher. Man will deshalb Kontakt zu anderen Ländern aufnehmen, damit man endlich auch wirkliche und authentische Informationen über das eigene Land herausgeben kann in die internationalen Informationskanäle. Dafür wäre Internet wichtig. Unsere Frage nach einem fest einplanbaren staatlichen Budget ergibt, dass der Uni zwar Geld zusteht, das bisher aber nicht angekommen ist. Man hat eine Menge Bürokratie und Schriftwechsel mit der Regierung in Kabul deswegen. Die Uni hätte Interesse, auch Deutsch zu unterrichten, aber es fehlt an den Lehrern. Wenn man einen neuen Studiengang eröffnen will, muss man wenigstens drei Lehrer dafür haben.
Ich frage, ob es ausländische Investoren hier gibt, mit denen die Universität kooperieren könnte. Der Rektor fragt in die Runde seiner Kollegen: „Gibt es hier eigentlich ausländische Unternehmen?“ Die Runde sieht sich ratlos an. Es gibt nur die Hilfsorganisationen. Einen Partner in Deutschland hat die Universität trotz großer Rundreise auch noch nicht. Zwei Punkte scheinen mir wesentlich: die Uni braucht dringend Zugang zum Internet und sie braucht eine Partneruni!
Wir schauen uns kurz in der Bibliothek um: alles ziemlich abgegriffene, alte und geschenkte Bücher, etwa 18.000 Bände. Man hat kein Geld, um neue zu kaufen.
Heute ist Prüfungstag an der Hochschule. Schriftliche Prüfungen stehen an. Wir gehen noch ein paar Schritte durch das Haus, um die Atmosphäre dieses Hauses aufzunehmen. Dann verabschieden wir uns.
Sultan will uns zur ISAF bringen. Es soll hier ein Büro geben. Wir suchen, fragen. Schließlich stehen wir vor einem schwer bewachten Gebäude. Sultan verhandelt. Ein Bote geht hinein, kommt wieder, fragt nach, geht wieder. Jetzt bringt er einen jungen Enlgänder mit, der sehr reserviert fragt, was wir hier wollen. Wir erklären ihm, dass wir an allen Informationen aus und über die Region interessiert sind. Als er „German Parliament“ hört, wird er freundlicher, zeigt Interesse und bittet uns schließlich hinein.
Meine Filme und die Kamera muss ich draußen lassen. Der Mann mit der Kalaschnikow wird die Filme bewachen. Nie hatte ich so gut bewachte unbelichtete Filme….“

Heute, am 8. März 2011 stelle ich diesen Bericht ins Netz und frage mich: was ist geschehen seither? Damals gab es noch keine deutschen Soldaten in der Nordregion. Im Kanzleramt hatte man damals gerade mit Überlegungen begonnen, 200 deutsche Soldaten zur Verstärkung der Briten in den Norden zu schicken. Ein Staatssekretärskollege bat mich um die Fotos von meiner Reise, damit man die Soldaten vorbereiten könne….Damals galt der Norden als die sicherste Region des ganzen Landes. Heute: ist es eine der gefährlichsten Regionen des ganzen Landes geworden. Und die Zivilbevölkerung beginnt immer stärker, gegen die „fremden Soldaten “ zu revoltieren, gerade gestern gab es sogar eine Demonstration in Kabul. Die vielen zivilen Opfer des Krieges, die toten Kinder vor allem, und die Wirkung dieser Unglücke in den afghanischen Familien haben dazu beigetragen.

Einen link zur Universität finde ich immer noch nicht. Deshalb füge ich wenigstens diesen link hier ein, der noch einige zusätzliche Eindrücke aus der Heimat Zarathustras bereit hält.
Und dann: finde ich doch noch einen Hinweis zum Thema Universität und Internet: die Hochschule lädt für den April 2011 zu einem Literatur-Workshop über Pashto-Literatur ein, denn die Literatur sei „mit das Wichtigste, das man der jungen Generation mitzugeben habe“.

2 Gedanken zu “Etwas von der Wissenschaft – Balkh University Mazar i Sharif.

  1. Wenn Politiker sonst nichts zu tun haben, als Leute bei solchen Veranstaltungen anzuzeigen, bei denen man kein Wort eines Politikers auf die Goldwaage legen kann. Armes Deutschland. Die Gerichte sind schon genug überlastet und wie das ausgeht weiss man ja. Und beim nächstem Mal spielt auf dem „Nockerberg“ nur noch die Musi. Und Kabarettisten sollte man auch gleich anzeigen – Unverschämtheit was die über die Politiker sagen.

    1. Ich bin ja kein Politiker. Das war ich zwanzig Jahre lang. Mit drei Direktmandaten und einer Zeit in zwei Bundesministerien. Aber seit einem Jahr bin ich ein ganz normaler Mensch, ohne Amt, ohne „Titel“ und dergleichen.
      Aber: ich achte sehr auf die Sprache. Weil aus der Sprache Handeln erwächst. Nun kann man eine „Aschermittwochs-Rede“ unter „Karneval“ abtun. Ich hab mir das auch überlegt, ob ich’s nicht einfach darunter verbuchen sollte. Aber dann habe ich gemerkt, daß mir das nicht möglich ist. Menschen in öffentlichen Ämtern müssen sehr sorgsam auf das achten was sie sagen und auch die Wirkung ihrer Worte bedenken. Ich kenne Herrn Seehofer persönlich, wir waren Nachbarn am Kabinettstisch. Ich weiß, daß er seine Worte sehr sorgsam wählt. Gerade deshalb habe ich Anzeige erstattet.

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