Meine Begegnung mit dem Islam ist vor allem eine Begegnung mit wundervollen Menschen.


Der neue Innenminister hat erneut eine Debatte begonnen. Ob der Islam zu Deutschland gehöre.
Natürlich gehören Menschen muslimischen Glaubens zu Deutschland, denn es gibt sehr viele deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens.
Ein Besuch in Berlin und anderen Städten zeigt es überdeutlich.
Man mag Politikern bei ihren öffentlichen Äußerungen Interessen unterstellen. Zumal in Wahlkampfzeiten. Doch das interessiert mich nicht wirklich.
Mich interessieren die Menschen muslimischen Glaubens.
Schön während des Studiums gehörte die Beschäftigung mit dem Islam zur Ausbildung. Wir hatten – als einzige Fakultät der ostdeutschen Universitäten – in Jena das Fach vergleichende Religionswissenschaft. Das war ein großer Gewinn. War doch vier Jahre Zeit für ein ausgiebiges Studium nichtchristlicher Religionen, ihrer Geschichte, Theologien und Strömungen. Ein wichtiger Beitrag für mehr Verständnis. Sind doch religiöse Fundamentalismen in allen Religionen oftmals Grund für fürchterliche Kriege und Auseinandersetzungen gewesen.

Später dann bin ich Muslimen begegnet. Erst bei den „Grünhelmen“, als ich mit Aiman Mazyek in Kontakt kam, der als Mitglied des Zentralrats der Muslime die wichtige interreligiöse Aufbauarbeit der Grünhelme unterstützt. Wir sind nun schon etliche Jahre befreundet.
Dann, im Jahr 2003, war ich in Afghanistan.
Als ich die Reise vorbereitete, war schnell klar, ich wollte nach Balkh. Der Ort liegt westlich von Kunduz.
Balkh ist ein uraltes spirituelles Zentrum.
Dshellaludin Rumi soll dort zur Schule gegangen sein.
Ich habe in einem eigenen blog-Beitrag auf diesen großen Poeten hingewiesen.
Der Besuch in Afghanistan liegt nun schon etliche Jahre zurück – und doch ist mir die Begegnung mit zwei Menschen dort in besonderer Erinnerung geblieben. In meinem Reisetagebuch habe ich damals folgendes festgehalten:
23. Juli 2003.
….Wir laden frische Getränke und fahren hinaus aufs Land in die Region von Balkh. …Neben Mekka und Medina ist Balkh ein wichtiges religiöses Zentrum für den ganzen Islam. Eine besondere Stätte. Manche Historiker glauben, Balkh sei älter als Jericho (von Jericho nimmt man ca. 10.000 Jahre an)….Am Straßenrand sehen wir bald die ersten historischen Festungsanlagen, die noch aus der Zeit von „Mister Dshingis Khan“ stammen, wie sich unser Begleiter Sultan ausdrückt. Wir betreten uraltes afghanisches Gelände, das schon viele Jahrtausende gelebter Geschichte hinter sich hat. Ein Kraftort.
…Wir nehmen uns Zeit für diesen besonderen Ort. Wir haben noch zwei Führer mitgenommen, die man für diese Tour extra für uns besorgt hat. Auf diesem Gelände braucht man Fachleute für Spiritualität.
Wir halten im Zentrum des Ortes und betreten einen großen Park, der mit alten Bäumen bestanden ist. Man sieht eine kreisrunde Allee, die von unserem geraden Weg geschnitten wird. Die Wege laufen in der Mitte in einer großen Wasseranlage zusammen.
Wir bewegen uns unter großen alten Bäumen, etliche Platanen darunter, die mit Sicherheit hundertfünfzig, zweihundert und mehr Jahre gesehen haben. Der Ort hat eine alte Handwerkstradition. Man ist aus der ganzen islamischen Welt, selbst aus Konya und anderen entfernten Orten hierher gekommen, um hier ein gutes Handwerk zu lernen.

Die Moschee in Balkh. Foto: Martin Zenker

Wir stehen vor der Moschee. Ziehen die Schuhe aus. Betreten den halbdunklen Raum. Einige Männer knien im Gebet. Wir setzen uns hinter der Schwelle im Eingangsbereich der uralten Muhammad Parsa Moschee in Balkh zu den beiden Alten, die hier Frühstück machen und hören, was sie uns zu berichten wissen.
Der eine Alte sitzt seit 15 Jahren hier. Er lebt in der Moschee. Von früh vier Uhr vom ersten Gebet bis abends neun Uhr zum letzten Gebet des Tages. Dann kommt die Nachtwache. Hodshar Boswhar Delee heißt der alte Mann, so jedenfalls verstehe ich seinen Namen.
Der Alte erzählt, das Gebäude sei über 1000 Jahre alt. „Die Menschen in der Region glauben, dass hier das Fundament der Welt zu finden ist“, übersetzt uns Tadsh. „Ich habe nicht genug Kenntnis, um Ihnen all die Daten und Zeiten zu erklären“ sagt der Alte. „Aber hierher kommen viele Leute, die haben Fragen zum Gebet. Da kann ich ihnen antworten.“
Vielleicht ist das ja auch wichtiger als die Geschichte der Architektur dieses Gebäudes? Vielleicht findet man deshalb hier die „Fundamente der Welt“, weil hier ein Alter sitzt, der den Menschen ihre Fragen zum Gebet beantworten kann? Wer weiß das schon. Alahu akbar, Gott ist größer als unsere Vorstellungskraft.
Und dann steigen wir hinab in den Raum unter der Moschee, nur mit einem Feuerzeug als Leuchte. Wir finden einen runden Raum, dessen Decke von nur einer Säule getragen wird, ein Raum mit wunderbarer Akustik. Eine alte Schule. Unsere Begleiter sind begeistert. Hier waren sie auch noch nie.
Wir schauen uns um in den Räumen, lassen uns Details erklären, so gut die Alten antworten können, dann gehen wir hinaus zur Grabstätte der Rabecha Balkhi gleich gegenüber dem Eingang der Moschee. Rabecha Balkhi ist die vielleicht berühmteste unglücklich Liebende, die bekannt ist in der ganzen islamischen Welt. 1045 ist sie gestorben. Durch ein weinziges Fensterchen sollen wir hinabklettern in das Grab. Es ist beeindruckend. ….
Wir verabschieden uns von den Alten, durchqueren den Park und fahren weiter hinaus aufs Gelände der alten Festung.
Wir treffen einen denkwürdigen Mann.
Shah Husseini Maulans Husseini nennt er sich. Er erzählt uns von Samtshi. Er sei aus dem Iran gekommen, „um hier zu leben und zu bleiben“ wie er sagt. Er hatte oft von Samtshi geträumt, sagt uns der Mann. Der Traum sei immer wieder gekommen. Er hatte deshalb seinen Vater gefragt, was diese Träume zu bedeuten hätten. Und sein Vater, selbst ein religiöser Mann, hatte zu ihm gesagt: „folge deinen Träumen! Geh an diesen Ort, von dem du immer träumst, dann wirst du es sehen, was der Traum bedeutet“.
Da hat er sich auf den Weg gemacht und ist seinen Träumen gefolgt.
Als er das sagt, fallen mit Personen aus dem Alten Testament ein. Menschen, die ihren Träumen gefolgt sind. In den Träumen spricht Gott – das ist altes Wissen aller Religionen. Im Abendland fordert man junge Leute zwar auch auf: „folge deinen Träumen“, aber das sagen halbherzig Menschen, die ihre Träume selbst längst verloren haben …. Der hier hat sich ganz konkret auf den Weg gemacht.
Zu Fuß: Vom Iran ist er gekommen.
„He is happy for praying and he like ist, to stay here“ übersetzt uns Tadsh.
Shah Husseini zeigt uns seine Schlangen  und Skorpione, die er in Gläsern hält. Er öffnet ein Glas, lässt sich einen Skorpion über die Hand laufen. Nimmt ihn auf die andere Hand, wechselt wieder in die eine. Wie harmlose Tierchen lässt er sie über die Hände klettern. Er will uns sagen: schaut her, sie tun mir nichts, so stark ist der Glaube.
Er erzählt uns, Samtshi sei vor 3000 Jahren gestorben. Und doch habe er immer wieder von ihm geträumt. Nun sei er also seinem Traum gefolgt und habe nach einem sehr langen Fußmarsch vom Iran bis hierher nach Balkh „seinen Platz“ im Leben gefunden.
Mit gefällt der Mann. Er ist ein glücklicher Mensch. Man merkt es ihm an. Dieser Mann ruht völlig in sich.
….Was ich so beeindruckend finde, ist, dass hier ein wirklich „frommer“ Mann vor uns steht. Der lebt, was er glaubt. Außer einem Brunnen und einer kleinen Lehmhütte hat er nichts.
Er hat von diesem Ort geträumt, als er noch im Iran lebte. Er hat geträumt, daß er an diesen Ort gehen solle. Und er hat sich auf den Weg gemacht, ist gekommen von weit her – und er ist glücklich.. Ein wenig schmutzig ist er zwar, vielleicht auch etwas sehr schmutzig, aber glücklich und sehr authentisch.
Wir sind nun auf dem riesigen Gelände der alten Balkh-Festung weitergefahren an einen anderen Ort, an dem ein anderer frommer „Wächter“ lebt. Je weiter wir voran kommen, je mehr Gespräche wir führen, um so seltsamer wird unseren afghanischen Begleitern zu Mute. Unsere beiden westlich orientierten Afghanen kommen erheblich ins Rätselraten, wie es denn sein könne, dass die Zahnschmerzen bei einem Menschen weggehen, nur wenn da oben bei dem Iraner ein Nagel in den Holzstamm an der Grabstelle geschlagen werde. Das sei doch alles fauler Zauber. Denen ist das alles nicht recht geheuer, sie haben Zweifel, ob man uns hier nicht einen Bären aufbindet.
Tadsh, Sultans Bruder, sieht das anders.
Er steht sehr aufmerksam und offen an diesen heiligen Stätten und spricht stille Gebete.
Ich sage zu Rupert: „Schau, hier hast du beide möglichen Reaktionen auf erlebte Spritualität. Beide so alt wie die Religion selbst. Die einen sagen: alles Spinnerei. Der andere steht und spricht sein Gebet.“
Wie fahren weiter und treffen einen alten, vielleicht siebzigjährigen Mann, der in einer einfachen Grashütte lebt und eine Grabstätte bewacht.
Mit ihm leben zwei kleine Kinder, ein Junge und ein schlafendes Mädchen, drei oder vier Jahre alt vielleicht, der Junge vielleicht fünf oder sechs. Wir schauen uns die Grabstelle an.
Ich frage den Alten, warum die Kinder nicht in der Schule sind. „Es gibt hier keine Schule“ sagt der Mann. Wir reden noch ein paar Worte, dann bitten unsere Begleiter ihn um ein Gebet. Er spricht ein Gebet für uns und wir verabschieden uns. Mich beeindruckt diese einfache, selbstverständliche Art, mit der dieser Mann für die wildfremden Menschen, die für einen winzigen Moment in seinem Leben auftauchen, ein Gebet spricht.
Wir ziehen weiter an einen anderen Ort auf dem Gelände: auch hier wieder eine Grabstelle. Mir fällt auf, dass auch an diesem zweiten Ort sehr große alte Bäume stehen. Heilige Orte und uralte Bäume – das gehört zusammen. Solche Plätze gibt es überall auf der Welt. Solche Plätze kennt man im Hinduismus, alte Bäume an heiligen Orten kennt man im Judentum, solche Orte kennt das Christentum. Dies hier muss unter den besonderen Orten ein ganz besonderer Ort sein: die Bäume sind besonders alt. ….Rupert und die anderen reden mit dem Wächter. Seit fünfzig (!) Jahren arbeitet er hier am Grab, sagt uns der alte Mann. 65 Jahre sei er alt und seit fünfzig Jahren sei er hier an diesem Platz. Viele Kinder kommen und staunen uns an. Mustafa Tarib heißt er. „Er kennt seinen Geburtstag nicht“ übersetzt uns Sultan. Aber anhand des uralten Ausweises, den der Mann aus seinem Überwurf hervornestelt, können wir errechnen, wie alt er ist.
„Das ist alles, was ihn identifiziert“ sagt Rupert Neudeck mit einem besonderen Ton in der Stimme und plötzlich sind sie wieder da, die Flüchtlingsschicksale, von denen Rupert so viele gesehen hat: man hat sie mit bloßen Händen aus dem Wasser gezogen aufs Deck der CAP ANAMUR, häufig haben sie nur noch einen solchen Wisch, der den Behörden zeigen kann, dass sie wirklich geboren wurden und ein Recht haben zu leben ……“
Diesen uralten „Ausweis“ zeigt uns der Mann, der gar nicht lesen und schreiben kann.
„It’s no birthday – it’s no death – so leben hier die Menschen“ übersetzt uns Sultan. „Wer keinen Geburtstag hat – kann auch nicht sterben.“

….Wir sehen die Reste der Schule, die Dshallaludin Rumi besucht haben soll. Wir klettern auf ihr herum, machen Fotos. Wir haben ein wunderbares Motiv, das in einem einzigen Bild das Thema unserer ganzen Reise zusammenzufassen in der Lage ist: wir stehen auf einer Schule, die deutschen „Humanitären„, der junge afghanische Geschäftsmann, der bewaffnete Wächter, die jungen Leute, die früher gekämpft haben gegen die Taliban.

Dieses Foto wird zum Titelbild für jenes kleines Bändchen, in dem ich den Reisebericht aus dem Jahre 2003 niedergelegt habe. Damals schien es überdeutlich: „Der Krieg ist vorbei“. Damals gab es noch keine deutschen Soldaten in Kunduz. Nur ein kleines britisches Team, das wir besucht haben.
Seither aber wächst die Gewalt.
Die Zahl der zivilen Opfer steigt.
In Deutschland fragt ein Minister in diesen Tagen aus durchschaubaren innenpolitischen Gründen, ob der Islam zu Deutschland gehöre….

Ich kann nur sagen: ich wünsche der Diskussion in Deutschland sehr die Weisheit der Sufis, die wir in Balkh getroffen haben. „Alahu akbar – Gott ist größer als unsere Vorstellungen“.
Wenn wir diesen klugen Satz in unseren Herzen trügen, würden manche Debatten einen bescheideneren Ausdruck finden.
Wir könnten lernen, daß wir zusammen gehören.
Religionen sind nur verschiedene Wege zum Gipfel.
Es ist gut, daß auch in Deutschland Menschen muslimischen Glaubens leben.
Sie gehören zu uns und wir gehören zu ihnen.
Denn wir sind allesamt nur Wandernde.
Wir streiten vielleicht über den richtigen Weg zum Ziel.
Und viel zu oft schlagen wir uns dabei gegenseitig die Köpfe ein, statt uns gegenseitig zu stützen.

Es wäre besser, wenn wir uns gegenseitig stützen würden: denn das Ziel der Wanderung ist ein gemeinsames…..

4 Gedanken zu “Meine Begegnung mit dem Islam ist vor allem eine Begegnung mit wundervollen Menschen.

  1. Bin über die Nachdenkseiten.de über einige Links zufällig an diese Reisebeschreibungen gelangt und finde sie sehr gut.

    Vom Gedanken über das Wort zur Tat – so sind bisher alle Kriege entstanden und darum sollten wir öfter an den Spruch denken, hat vielleicht auch Jesus gesagt: Hüte Deine Zunge, die manchmal schärfter ist als das schärftste Schwert.

    Matthias Claudius sagt da auch Schönes drüber: Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst.

    Karola

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