Mal nichts über Guttenberg – aber etwas über Projektionsflächen und Sehnsüchte


Etwa 650.000 mal hat Sarrazin sein vielgescholtenes Buch verkauft – und ist mehrfacher Millionär dadurch geworden. Die Menschen schimpfen – und lesen ihn.
Offensichtlich „funktioniert“ soetwas: ordentlich „gegen den Strich bürsten“ – und viele Menschen folgen.
Denn, „da traut sich mal einer öffentlich zu sagen, was viele denken“. Der Mann wird zum „Sprach-Rohr“, zur Projektionsfläche, zur Mattscheibe, auf der zu sehen ist, wie viele Menschen tatsächlich denken.
Sie gehen zu Tausenden in seine Lesungen.
Je mehr Skandal, um so besser für seine Verkaufszahlen.
Skandal garantiert Auflage.

900 Menschen klatschen in einem süddeutschen Bierzelt stehend Beifall, als ein Minister zugibt, betrogen und gelogen zu haben.
Er sagt das und greift an: „die Hauptstadtpresse“ habe eine Kampagne gegen ihn inszeniert. Aber: „Eine oberfränkische Wettertanne hauen solche Stürme nicht um“. So zitiert ihn die FAZ von heute.
Aus eigenem Unrecht wird „Angriff“ – es ist ein alter rhetorischer Kniff, der aber immer wieder funktioniert.
Offensichtlich hat der Betrüger viele Unterstützer im Land. Im „Spiegel“ und im „Stern“, in der „Frankfurter Rundschau“ und in anderen Zeitungen war davon heute zu lesen.
Da gibt es diesen Unterschied zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung.
„Eine oberfränkische Wettertanne hauen solche Stürme nicht um“.
Ha, damit hat er sie im Sack.
Die Leute im Saal.
Denn: wer sich selbst als hilflos, ohnmächtig, ausgeliefert erlebt – der braucht „eine oberfränkische Wettertanne“. Zum Anlehnen.
Der Untertan braucht den Anführer, auch wenn er ein Betrüger ist.
Er braucht ihn, selbst wenn er ihn mit Füßen tritt. Heinrich Mann hat im „Untertan“ eindrückliches literarisches Zeugnis davon gegeben.
Der Schwache braucht den, der sich als stark ausgibt. Als Projektionsfläche. Als Heimat seiner heimlichen Sehnsüchte.
Deshalb jubeln sie ihm zu, wenn er den Betrug und die Lüge als Kavaliersdelikt abtut und „die Hauptstadtpresse“ angreift.
Deshalb schreiben etliche heute in den Netzwerken, sie hätten „die Schnauze voll“ von der Diskussion um Guttenberg. Sie wollen „ihre Ruhe“ haben.
Und ihm weiter zujubeln.
Da bedient einer finsterstes provinzielles Vorurteil gegen „die Hauptstadtpresse“, man kennt „die“ ja, diese Journalisten – und bekommt stehenden Applaus.

Man kann das alles für eine Bagatelle halten. Den Sarrazin und den Minister.
Aber mich hat ein kleiner Text elektrisisiert, den ich heute morgen in einem facebook-threat fand:

da schreibt mir ein facebook-Freund: „wenn ich die Rede Guttenbergs betrachte, wird mir anders. Das möchte ich gerne erklären:
1. Er wird wohl den Rücktritt umschiffen oder nur kurze Zeit abtreten, geschenkt…
viel wichtiger:
2. Beim Blick in die Vergangenheit, mit seinem Frontauftritt mit Frau, den Vergleichen die sich angeboten haben, gestern das wenig verklausulierte Lob für Sarrazins Werk, Stahlhagel, Stahlhelm, der Auftritt in Kochs Brutkasten, Verachtung für die „Hauptstadtpresse“, Fußtritt für die seriöse Wissenschaft…jetzt zählen wir doch mal 1 und 1 zusammen:
Hier hatte gestern der Mann seinen Auftritt, der mit den Sarrazinthesen Wahlkampf machen wird – und damit Wahlen gewinnen kann und schlimmstenfalls auch wird.
Am Horizont steht die neue Konservative, bei der sich so Mancher die Merkel-CDU zurückwünschen wird.
Ganz fern ab dieser Dr.-Diskussion, hat diese Aktion ihm eine Freiheit gegeben, mit der er zu dem mutiert, vor dem alle im Zusammenhang mit den Umfragen zur Sarrazinschen Schrift Angst hatten.
Natürlich habe ich keine Glaskugel, aber ich möchte mich mal aus dem Fenster lehnen und sagen, das hat jemand nun sein wahres Gesicht gezeigt und was uns da erwartet ist mehr als beunruhigend….“

Ich hab meinem facebook-Freund geantwortet:
„na, das hat mich ja nun doch ziemlich elektrisiert, was du da schreibst. Das Zeug zum Verführer hat er, das haben wir ja gesehen. Und wir sehen auch, wie ihm die Leute nachlaufen.
Um die „neue Rechte“ mache ich mir auch Sorgen, zeigt sie sich doch nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, sogar in Skandinavien.
Inteloranz und Fremdenfeindlichkdeit sind ihre „Kennzeichen“, geschickte Nutzung der am meisten von der Bevölkerung konsumierten Medien (Talk-Shows und „Soldatenbilder“) ebenfalls.
„Sarrazin“ und seine vielen Millionen Leser sind ja ein Hinweis darauf.
Jung genug ist er, um „wiederzukehren“ nach einer gewissen Zeit.
Aber ich will den Glauben an den aufgeklärten, mündigen, weltoffenen und an anderen Kulturen interessierten Menschen nicht aufgeben…
Womöglich hast du Recht, man muss noch klarer sagen wofür man steht. Und sich unterhaken….“

Ich bin nachdenklich geworden.
Auch wenn jetzt viele „die Schnauze voll“ haben von dem „Sarrazin“ und dem „Minister“. Auch, wenn viele ihm heimlich zustimmen, wegen dieses „Kavaliersdeliktes“.
Vielleicht gerade deswegen…..
Der Untertan fängt an, mir unheimlich zu werden.

4 Gedanken zu “Mal nichts über Guttenberg – aber etwas über Projektionsflächen und Sehnsüchte

  1. Als wäre nichts gewesen: Karl Theodor zu Guttenberg legt seinen Doktortitel ab und darf Minister bleiben. Das ist nur eine Fußnote in seiner Traumkarriere. Sicher, keinen interessiert es mehr. Der Guttenberg wird sich noch Bundeskanzler. Das spricht viel für die Kultur in unserem Lande.

Hinterlasse einen Kommentar