Etwas von der Wissenschaft – Balkh University Mazar i Sharif.


Heute setze ich den Reisebericht von 2003 fort: Im „Reisetagebuch“ hatte ich am 23. Juli 2003 notiert:
„Irgendwann früh gegen vier ruft der Muezzin und erinnert uns an die Grenze, die uns gesetzt ist: „Gott ist größer – allahu akbar“. Das ganze Land beginnt mit einer „Morgenandacht“. Man stelle sich das für unser Land vor! Früher hatten im christlichen Abendland die Glocken eine solche Bedeutung. In manchen Dörfern gibt es wenigstens noch das „Abendläuten“ um 18 Uhr. Wie weit wir doch weg sind von parktizierter Religiosität im sogenannten „christlichen Abendland“! Dieses Land hier „atmet“ den Islam. Man darf das nie vergessen bei allem, was man hier sieht. Dieses Land ist ein religiöses Land. Dieses Land ist ein spirituelles Land.
Wie soll der Dialog mit dem Islam gelingen, wenn das „christliche Abendland“ gar nicht mehr um seine Wurzeln weiß? Wie soll man den „interreligiösen Dialog“ führen, wenn die eine Seite gar nicht mehr weiß, welche Religion sie eigentlich hat?
Es gibt im Westen arrogante ungebildete Menschen, die glauben, der Islam müsse erst mal die Aufklärung durchmachen, die auch das Christentum durchgemacht habe. Diese Menschen verstehen nichts. Sie wissen nichts von Spiritualität. Sie wissen nichts von den Sufis, nichts von den Naqsbandhias, nichts von Rumi und den „tanzenden Derwischen“, die in ihrem wild kreisenden Tanz Gott ehren, der größer ist als alles, was Menschen so zustande bringen. Heutzutage kann man in der Tü´rkei die tanzenden Derwische als Touristenattraktion besichtigen, da ist allerdings auch nicht mehr viel von den ursprünglichen Wurzeln dieses Gebetstanzes zu erkennen. Wer weiß denn im Abendland noch, daß der Tanz die älteste Gebetsform ist, die wir kennen?
Wie soll ein Dialog gelingen zwischen einem weitgehend atheistischen Westen, der als seine „Religion“ nur noch das Wachstum und den Dollarkurs kennt – und einem religiösen Osten nach dem 11. September? Wie soll sich ein religiöse Afghane verständigen mit einem Amerikaner oder Deutschen oder Engländer oder Franzosen, der im Grunde nur am Erdöl zur Sicherung seiner Energieversworgung interessiert ist? Was soll man reden mit jemandem, der unter „Fortschritt“ lediglich das Wachstum seiner eigenen Volkswirtschaft versteht?
Es wird schwer werden mit dem Gespräch. Es ist eine große Aufgabe. Aber der 11. September hat eben auch dies gezeigt: wir werden reden müssen! Wir werden uns verständigen müssen über die Ziele, zu denen wir unterwegs sind. Wir werden uns verständigen müssen über die „basics“, von denen aus das Leben zu begreifen ist. Eins scheint mir sicher: Der Westen wird zu seiner eigenen Spiritualität (ich rede nicht von Volkskirchlichkeit!) zurückkehren müssen, billiger ist der Dialog nicht zu haben.
Solche Spiritualität ist im Westen noch verborgen in manchen Klöstern. Man kann sie finden in einigen Gemeinden. Da ist noch Glut unter der Asche.
Dies geht mir durch den Kopf, als ich morgens erwache irgendwo im tiefen Afghanistan in Mazar i Sharif. Man wacht auf und sieht als erstes den Halbmond am Himmel. Was für ein Symbol!
Sehr früh, zwischen vier und fünf, beginnt auch schon das Leben in der Familie. Man nutzt die kühleren Morgenstunden. Ich bin als erster auf, halb sechs genieße ich die „Dusche“. Sogar Strom für den Rasierer ist da.
Dann wacht unser Fahrer auf. „Ich hab gut geschlafen“ sagt Sultan Paiwand. „Das reicht jetzt wieder für zwei Tage.“
In den letzten Tagen hatte er verdammt wenig geschlafen, gestern nur zwei Stunden. Wir hatten uns deswegen schon Sorgen gemacht, denn wir waren von seinen Fahrkünsten abhängig.
Zeit für das Tagebuch; Zeit, die diktierten Notizen vom Vortag abzuhören. Dann sind alle fertig. Das Frühstück wird im Hof serviert: die Decke wird gebracht und dann das Geschirr, das Obst, Eier und Marmelade. Gastfreundlich sind sie, die Afghanen, es ist wunderbar!
Unser erster Termin heute: die Universität.
Wir haben uns durch das Gewimmel von jungen Leuten durchgekämpft und sitzen nun in der Universität im Zimmer des Rektors. Der Chan, Herr Habibullah Habib, ein etwas vierzigjähriger Mann im grauen Anzug, gibt uns einen Überblick über die „Balkh University“. Er lobt die deutsch-afghanische Zusammenarbeit, insbesondere die Rolle Deutschlands beim Wiederaufbau.
„Deutschland kann uns helfen, denn wir sind ein starkes Land“ sagt er. „Wir sind vielleicht nicht das stärkste Land, aber das zweitstärkste können wir sein“. Zusammenarbeit mit Deutschland gibt es im Bereich der Pharmazie und der Wirtschaftswissenschaften. Man arbeitet über den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) mit Deutschland zusammen. Etwa 200 Lehrer und Studenten sind schon ausgetauscht worden nach Deutschland, allerdings von der Universität in Kabul. Von Mazar waren bislang erst zwei Lehrer „draußen“, und zwar der Vizepräsident der Uni und ein Landwirtschaftsfachmann. Der Rektor selbst war jetzt auch in Deutschland, um Kontakte zum DAAD aufzunehmen. An der Reise beteiligt waren Lehrer von acht afghanischen Universitäten. Man hatte in Deutschland eine richtig große Rundreise vorbereitet, so dass die Afghanen mit vielen Universitäten in Kontakt kamen. Man hat Zusammenarbeiten im Bereich der Stomatologie vorgeschlagen, man fängt in der nächsten Zukunft mit eigenen Ausbildungsgängen an, die an deutsche Ausbildungsgänge angeglichen sind. Man hat ein spezielles Interesse an Sicherheitstechnik und Kriminalistik merkwürdigerweise.
„Die Tatsache, dass ihr hier seid zeigt uns, dass ihr mit uns zusammenarbeiten wollt“ sagt der Rektor augenzwinkernd. Die Universität arbeitet seit 17 Jahren. 4.000 Studenten sind eingetragen. Es ist noch eine junge Universität. Acht Fakultäten: Medicine, Literature, Oeconomics, Political Science, Agriculture, Islamic Religion, Education.
Wir unterbrechen kurz, weil das Lokalfernsehen dazu kommt, um von unserem Besuch mit dem „member of German Parliament“ zu berichten.
300 Mitarbeiter der „academy staff“ hat er, berichtet der Rektor weiter. Viele davon müssen jedoch tagsüber arbeiten und können erst abends „Studium machen“, weil sonst das Gehalt nicht reicht. Im Balkh-District gibt es noch eine zweite akademische Einrichtung. Es gibt eine Zusammenarbeit mit Journalisten-Fachschulen. Man hat auch einen Publikationskurs, der von den Studenten selbst gemacht wird. Es gibt eine Zusammenarbeit zwischen Dozenten und Studenten im kulturellen Bereich: man macht Literatur zusammen, musiziert zusammen, macht Gedichte gemeinsam. Zwischen 18.000 und 20.000 Bücher unfasst die Bibliothek. Es gibt auch ein aktives Komitee für Umweltentwicklung.
Man gestaltet eine ganze Reihe von Konferenzen von der Universität aus.

Studentenzimmer Balkh-University Mazar i Sharif. Foto: Martin Zenker
Prüfungsvorbereitungen. Balkh-University. Foto: Martin Zenker

Es gibt ein gewaltiges Problem an der Hochschule: man hat zu wenig Platz für die Studenten. Die Studenten leben unter sehr sehr schlechten Bedingungen. Sie haben nur einen minimalen Platz im Wohnheim: die Zimmer sind belegt mit bis zu 16 Betten. Keine Air Condition, kein Strom, damit auch keinen Zugang zu Laptop und Internet! In dieser Hitze und dann mit fünfzehn Leuten auf dem Zimmer, das ist Horror. Aber die Studenten sind freundlich!
Dem Rektor ist bewusst, dass man beim Aufbau der Uni in Konkurrenz steht zu den anderen Bereichen der Gesellschaft, die aufgebaut werden müssen. Man muss um die wenigen Mittel kämpfen. Man will jetzt von der Regierung 600 Morgen Land kaufen, um zu erweitern. Man ist zuversichtlich, mit den Regierungsautoritäten voran zu kommen, um erweitern zu können. Man erwartet auch von den deutschen NGOs Hilfe bei diesen Projekten an der Uni. Die Uni ist noch nicht ans Internet angeschlossen, Bücher braucht man auch. Alle vorhandenen Bücher sind geschenkt. Die Hochschule hat kein Budget für Bücher. Man will deshalb Kontakt zu anderen Ländern aufnehmen, damit man endlich auch wirkliche und authentische Informationen über das eigene Land herausgeben kann in die internationalen Informationskanäle. Dafür wäre Internet wichtig. Unsere Frage nach einem fest einplanbaren staatlichen Budget ergibt, dass der Uni zwar Geld zusteht, das bisher aber nicht angekommen ist. Man hat eine Menge Bürokratie und Schriftwechsel mit der Regierung in Kabul deswegen. Die Uni hätte Interesse, auch Deutsch zu unterrichten, aber es fehlt an den Lehrern. Wenn man einen neuen Studiengang eröffnen will, muss man wenigstens drei Lehrer dafür haben.
Ich frage, ob es ausländische Investoren hier gibt, mit denen die Universität kooperieren könnte. Der Rektor fragt in die Runde seiner Kollegen: „Gibt es hier eigentlich ausländische Unternehmen?“ Die Runde sieht sich ratlos an. Es gibt nur die Hilfsorganisationen. Einen Partner in Deutschland hat die Universität trotz großer Rundreise auch noch nicht. Zwei Punkte scheinen mir wesentlich: die Uni braucht dringend Zugang zum Internet und sie braucht eine Partneruni!
Wir schauen uns kurz in der Bibliothek um: alles ziemlich abgegriffene, alte und geschenkte Bücher, etwa 18.000 Bände. Man hat kein Geld, um neue zu kaufen.
Heute ist Prüfungstag an der Hochschule. Schriftliche Prüfungen stehen an. Wir gehen noch ein paar Schritte durch das Haus, um die Atmosphäre dieses Hauses aufzunehmen. Dann verabschieden wir uns.
Sultan will uns zur ISAF bringen. Es soll hier ein Büro geben. Wir suchen, fragen. Schließlich stehen wir vor einem schwer bewachten Gebäude. Sultan verhandelt. Ein Bote geht hinein, kommt wieder, fragt nach, geht wieder. Jetzt bringt er einen jungen Enlgänder mit, der sehr reserviert fragt, was wir hier wollen. Wir erklären ihm, dass wir an allen Informationen aus und über die Region interessiert sind. Als er „German Parliament“ hört, wird er freundlicher, zeigt Interesse und bittet uns schließlich hinein.
Meine Filme und die Kamera muss ich draußen lassen. Der Mann mit der Kalaschnikow wird die Filme bewachen. Nie hatte ich so gut bewachte unbelichtete Filme….“

Heute, am 8. März 2011 stelle ich diesen Bericht ins Netz und frage mich: was ist geschehen seither? Damals gab es noch keine deutschen Soldaten in der Nordregion. Im Kanzleramt hatte man damals gerade mit Überlegungen begonnen, 200 deutsche Soldaten zur Verstärkung der Briten in den Norden zu schicken. Ein Staatssekretärskollege bat mich um die Fotos von meiner Reise, damit man die Soldaten vorbereiten könne….Damals galt der Norden als die sicherste Region des ganzen Landes. Heute: ist es eine der gefährlichsten Regionen des ganzen Landes geworden. Und die Zivilbevölkerung beginnt immer stärker, gegen die „fremden Soldaten “ zu revoltieren, gerade gestern gab es sogar eine Demonstration in Kabul. Die vielen zivilen Opfer des Krieges, die toten Kinder vor allem, und die Wirkung dieser Unglücke in den afghanischen Familien haben dazu beigetragen.

Einen link zur Universität finde ich immer noch nicht. Deshalb füge ich wenigstens diesen link hier ein, der noch einige zusätzliche Eindrücke aus der Heimat Zarathustras bereit hält.
Und dann: finde ich doch noch einen Hinweis zum Thema Universität und Internet: die Hochschule lädt für den April 2011 zu einem Literatur-Workshop über Pashto-Literatur ein, denn die Literatur sei „mit das Wichtigste, das man der jungen Generation mitzugeben habe“.

Etwas über Bildung, Schulstifte, Gastfreundschaft und so’n Zeug. Aus Marmol. Das liegt in den Bergen….


Vom Tee will ich erzählen. Und vom klaren Wasser. Von Schulstiften und dem lachenden Buddha von Marmol. Weil wir grade über muslimische Kultur sprechen.
Wer mit Dr. Rupert Neudeck reist, sollte irgendwelche Hotels vergessen. Wer mit ihm reist, lernt Land und Leute wirklich kennen. Denn er geht in Orte, in die sich sonst keiner traut….
Daß wir durch Minenfelder fahren würden, sagte man uns erst hinterher, als wir wieder heil zu Hause angekommen waren….
In meinem Reisetagebuch vom 24. Juli 2003 habe ich folgendes notiert:
Wir wollen ins Gebirge. Die Fahrt beginnt wie immer morgens hektisch. Sultan fährt, als sei der Scheiitan hinter im her. Heute zeigt er uns, dass man im Kreisverkehr auch mal links herum fahren kann, wenn man abkürzen will.
Erst müssen wir in die Stadt, um weitere Begleiter mit ihrem eigenen Jeep in den Troß aufzunehmen. Später werden wir noch einen ortskundigen Führer abholen. Wir sind zu den Dörfern unterwegs. …Wir fahren tatsächlich querfeldein zwischen den Dörfern und fragen unterwegs immer mal, ob das Gelände minenfrei ist. Die Bauern beruhigen uns: „hier ist geräumt. Gerade vor acht Wochen sind sie hier durch.“

Kinder am Wasser in der Ebene von Gori Mor. Foto: Martin Zenker

Wir machen Halt in einem Dorf in der Ebene von Gori Mor. 5.000-6.000 Einwohner hat der Ort. Davon 1500 Kinder. 374 Kinder in der Schule.
Das ganze Dorf hat nur an zwei Tagen in der Woche Wasser, aber auch das ist nicht zuverlässig so.
Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal.
Insbesondere die Kinder nehmen das Wasser zum Baden und auch zum Trinken.
Seuchengefahr überall.
Es gibt zwar ein neues Schulgebäude im Ort mit vier Schulräumen, aber es fehlen fünf weitere – weil sie so viele Kinder hier haben.
Dieses Flüsschen hier auf dem Bild – das muss genügen. Für 6.000 Menschen und ihre Tiere. Zweimal pro Woche.
Aber wir wollen weiter. Wir wollen in die Berge.
Die Fahrt nach Marmol
ist so ziemlich das Abenteuerlichste, das ich bisher auf den Auslandsreisen erlebt habe. Die Wege hören bald hinter dem Dorf auf. Wir hatten extra einen „Spezialisten“ aus dem Dorf mitgenommen, damit er uns den Weg zwischen möglichen Minenfeldern zeigen konnte. For dieser Fahrt hatte sogar Sultan Sorgenfalten….

Reise auf dem ausgetrockneten Flussbett....Foto: Martin Zenker

Wir fahren also die ausgetrockneten Flusstäler bergauf, „fahren“ auf dem „Schotter“ des Flussbettes.
Wir machen Rast in einer Klamm, die im Frühjahr 4mannhoch vom Schmelzwasser durchschossen wird. Hier kommt man eigentlich nur noch mit Eseln voran. Die Wege werden steiler und steiler. Aber die Fahrer schaffen es irgendwie. Tadsh und seine afghanischen Freunde. Und der ortskundige Führer kennt die Stellen, wo es geht.
Weit weit oben erreichen wir einen Ort: Marmol.
Wir kommen überraschend. Man ist nicht eingestellt auf Gäste. Dennoch bittet uns der Direktor der Schule in den Garten. Es ist etwa vierzehn Uhr am Nachmittag. Wir leben wie im Paradies: jetzt, nach diesem exorbitanten Aufstieg in die Berge sitzen wir unter dem kühlen Nussbaum beim wunderbaren schwarzen Tee und reden mit dem „lachenden Buddha von Mar Mol“ über seine Schule. Es ist ein wunderbarer Platz:  Wir sind wie in einer anderen Welt. Grün ist es ringsum! Sehr gutes Wasser hat man hier. Deshalb schmeckt der Tee vorzüglich. Nie habe ich solch exquisiten Tee getrunken.
Wir sitzen und reden mit dem Schuldirektor, einem sehr dicken, großen, autoritären aber sehr freundlichen und herzlichen Menschen, Abdul Satar Palwan. Ich nenne ihn für mich den „Buddha von Marmol.“ „Vor 63 Jahren wurde hier die Schule gebaut“, erzählt er. Es ist die einzige Schule in der Region. 1000 Schüler hat man. Es ist eine Mittelschule bis zur neunten Klasse. „Die Lehrer, die hier arbeiten, sind eigentlich keine Lehrer, sondern machen das nebenberuflich“. Wir hörten schon in anderen Orten von sol chen Umständen. UNICEF war zwar schon hier, hat drei Zelte und ein paar Lehrmittelkoffer dagelassen. „Die werden nicht wiederkommen“ meint Rupert. „Sie haben ihre Aufgabe erfüllt: Zelte sind aufgestellt, Koffer mit Lehrmaterial sind abgeliefert….“. Man überlegt, ob man eine Mädchen- und eine Jungsschule gründet, aber es hängt natürlich alles an verfügbaren Mitteln.
Nun wird der Tee serviert, man reicht Bonbons dazu, Süßigkeiten müssen sein zum Tee. Rupert gefällt der Ort. Er fragt genauer nach, was hier möglich wäre. Bisher hatte man zehn Räume in einer insgesamt großen Schule. Durch die Kämpfe jedoch hat die Schule stark gelitten. Allein 500 Mädchen aus der Region gehen hier zur Schule. Weil die Räume nicht reichen, kann man nur im Sommer unterrichten, da helfen die Zelte. Im Winter wird die Schule geschlossen, weil er dann keine Möglichkeit mehr zum Unterricht hat. Im November macht man zu, im März wieder auf. Rupert wird immer neugieriger und fragt, wo man hier Baumaterial kaufen könne. Das geht in Mazar i sharif. Von dort muss man alles herauschaffen in die Berge.
Wir fragen nach den Panzern, die wir am Wege gesehen haben. Herr Dostum und sein Kollege General, Herr Bossum, haben sich hier oben gezankt, erfahren wir, deshalb lägen die alten Tanks hier noch im Gebirge herum. ISAF hat die Zänkereien beendet. Der Ort liegt genau im Grenzbereich zwischen beiden Warlords. Rupert sagt seinen Spruch: „Wir haben noch nie etwas versprochen, ohne es zu halten“, aber man merkt, er würde gern was versprechen….Das Baumaterial also könnte man von Mazar aus hier heraufbringen.
Es ist wirklich ein traumhafter Ort. Herrlichstes Quellwasser steht zur Verfügung. Der Geschmack des Tees verrät es.

die Kinder in Marmol. Afghanistan. Foto: Martin Zenker

Man hat es auch im Ort gesehen: die Kinder sind wesentlich sauberer als in anderen Dörfern. Man hat schlicht mehr Wasser, um die Kinder zu waschen!
Rupert sagt: „Ihr werdet bald Nachricht von uns bekommen. Wenn wir kommen, dann müsst ihr uns einen Raum zur Verfügung stellen und wir müssen mit den Behörden zusammenarbeiten etc. etc.“. Es deutet vieles darauf hin, dass er sich im Grunde schon entschieden hat. Wir fragen weiter. Wie ist es mit der Gesundheitsversorgung? Vor einem Jahr ist hier ein Medizinraum errichtet worden. Er ist nicht ständig besetzt. Doktor und Krankenschwester gibt’s hier auch nicht. Die sind im Moment in Mazar i Sharif.
Was ist mit Telefon? Kommunikation nach Mazar gibt es nicht: kein Telefon, kein Fernsehen, kein Radio. „Hier leben nur glückliche Menschen“ denke ich mir. Es gibt ein spezielles Handwerk zur Turbanherstellung im Ort. „Es gibt gutes Handwerk im Ort“ sagt der dicke lachende Buddha von Marmol nicht ohne Stolz. Aber: im Winter ist man hier oben völlig abgeschnitten. Dann kommt man höchstens über ein paar schwierige Pässe mit den Maultieren raus oder in den Ort.
Eigentlich hat der Ort auch gutes Obst. Aber im letzten Winter waren so starke Fröste, dass viel kaputt gegangen ist. Die Menschen des Dorfes sind hier auch alle im Dorf geboren, denn die Entfernungen zum nächsten Krankenhaus erlauben keine Außerhausgeburten. Man hat Generatoren im Ort für den Strom. „Deshalb kann man auch Video gucken“, lächelt der Buddha. Also doch nicht nur glückliche Menschen…..
Wir versuchen, die Informationen zu verdichten. Wir fertigen auf einem Zettel eine Liste der Orte der Umgebung an und fragen sie einzeln nach den Daten ab: Einwohnerzahl, Schulräume usw. So verschaffen wir uns eine Übersicht, was in der Region los ist. „Die erste Statistik dieser Gegend“ meint Rupert. „Ich bin sicher.“
Die Gegend ist einfach grandios. Über 250 Meter erheben sich die Steilwände der Felsen in den Himmel. Es ist wie ein gewaltiger Wall rund um den Ort. Insgesamt 10.000 Schüler, davon 3.000 zwischen sieben und zehn, leben in der Gegend.

der lachende Buddha von Marmol. Foto: Martin Zenker

Als ich hier meine mitgebrachten Stifte verteilen will, macht der Buddha einen herrlichen Witz: Ich hatte ihm schön Packung um Packung herüber gereicht. Auch die losen Stifte. Schließlich langt er zu mir herüber und nimmt mir auch noch die Tüte aus der Hand, stopft alle Stifte wieder hinein und meint: „das ist ja eine nette Geste lieber Freund. Aber wir können dich hier nicht weglassen mit so wenig Stiften. Das reicht ja für unsere 10.000 Kinder überhaupt nicht. Wir halten dich jetzt solange hier, bist du so viel angeliefert hast, dass es für die Kinder reicht.“
Ja, so werden wir es machen. Ich bleibe hier, und die anderen müssen noch mehr Stifte besorgen. Soll sich doch das Auswärtige Amt drum kümmern, daß sie ihren Abgeordneten wieder ins Parlament zurück bekommen…..
Ein praktischer Mann, der sich für seine Kinder ins Zeug legt, nicht wahr. Er arbeitet mit 45 Kollegen, „nicht alles Pädagogen…..“.

Jetzt, abends um sechs sitzen wir wieder an unserem Platz in Mazar i Sharif im Elternhaus von Tadsh und Sultan.
Wir haben die Fahrt gut überstanden, nachdem wir eine Stelle überqueren mussten, die sehr danach aussah, als könnten da Minen liegen. Sultan raste mit dem Jeep über diese Stelle: „Wenn wir schnell drüber fahren, erwischen sie uns nicht, wenn sie hochgehen“ war seine Hoffnung. Alles lief gut. Weiter unten dann hatte er sich zu weit rechts gehalten. Die anderen mussten uns wieder über ein Stück Niemandsland auf den richtigen Weg lotsen. Auch das ging gut.
Ich hatte einen Fehler gemacht.
Vorgestern hatte ich mal einen kleinen Wunsch geäußert: gern würde ich mal über den Bazar gehen, um eine Kleinigkeit zum Mitbringen zu erstehen.
Jetzt sehen wir das Ergebnis dieses Fehlers: Im Quartier hatte man uns im Hof wunderbare Geschenke ausgebreitet: einen kompletten afghanischen Anzug, den nehme ich für B. mit und ein Kleid und eine Mütze und solche Sachen und eine ganze Discothek mit afghanischer Musik. Wir sind sprachlos über soviel Großzügigkeit…..
Das Essen, man isst sitzend auf dem Fußboden ist einfach: zwei Flaschen Cola, Melonen, Fladenbrot, ein wenig Gemüse.
Später erfahre ich Folgendes: wenn ein afghanischer Bauer 15 Stunden am Tag seine Feldarbeit macht (bei einem Anmarsch zu Fuß von bis zu drei Stunden und entsprechendem Weg zurück inclusive gerechnet), verdient er umgerechnet einen Euro.
Eine Flasche Cola kostet jedoch ungerechnet 1,50 Euro.
Was da also vor uns steht: ist fast ein Wochenlohn! Ich bekomme ein Gefühl dafür, was im Islam Gastfreundschaft ist. Es ist ein sehr hohes Gut. Der Gast genießt den Schutz des Gastgebers.
Deshalb waren wir nie wirklich in Gefahr. Wir hatten die Gastfreundschaft von Tadsh, Sultan und seiner Familie.
Ich werde davon in Deutschland erzählen, wenn sie wieder anfangen zu diskutieren, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht. Ich werde ihnen dann vom Gebot der Gastfreundschaft erzählen, das im Islam gilt…..
Vielleicht können wir ja etwas lernen, vom lachenden Buddha von Marmol und seinen 10.000 Kindern …..

Etwas über Pünktlichkeit, Sauberkeit und guten Service – ein Beitrag zum Thema „Leitkultur“. Aus Afghanistan


Einige Deutsche loben sich ja gern. Und preisen etwas, das sie „deutsche Leitkultur“ nennen. Dazu gehören – ihrer Meinung nach – Pünktlichkeit, Sauberkeit und guter Service.
Hier schicke ich ein Foto.

Raststätte in Rabotak Kauk, Afghanistan. Foto: Martin Zenker

Und einen Text aus dem Jahre 2003. Von einer Unterrichtsstunde am frühen Morgen – in Afghanistan:
Freitag, 25. Juli 2003
Zwei Uhr fünfzehn. Wir haben unter einem prächtigen Sternenhimmel geschlafen.
Als ich ins Bad gehe, sehe ich, was Gastfreundschaft noch sein kann: da liegen sechs der Afghanen, die gestern zum Feiern gekommen waren, damit sie uns heute früh auch noch verabschieden können. Sie liegen im wärmsten Raum des Hauses, damit die Gäste draußen an der frischen Luft liegen konnten. Sie haben sich zwei Ventilatoren angemacht, für die aber der Generator nötig war, der die ganze Nacht lief – und teuren Diesel verbrauchte.
Es ist so dunkel in der Stadt, dass man sogar die Milchstraße sehr gut sehen kann. Es ist ein wunderschöner Sternenhimmel jetzt gegen Morgen. Die Grillen zirpen noch. Bald wird es hell werden. Meine Sachen sind gepackt. Ich bin wie so oft morgens mal wieder der Erste und habe Zeit, den aufsteigenden Morgen zu genießen. Um drei Uhr wollen wir starten. Wir gehen über einen anderen Grenzübergang zurück. Vorher müssen wir allerdings noch die katastrophale Strecke nach Kunduz zurück, die nach den ersten knapp 190 Kilometern Teerstraße auf uns wartet. Aber nach dem Trip gestern in die Berge, der ja nun wirklich „outdoor“ war, wo wir ausgetrocknete Flussbetten hochgefahren sind an Stellen, wo es keinen Weg mehr gab – nach dieser Glanzleistung unserer Fahrer gestern – müssten wir heute den Weg nach Kunduz und danach über die Grenze ganz gut gewältigen. Wir werden die Fahrt geradezu genießen….
Wir halten am frühen Morgen an einer Raststätte in Rabotak Kauk, wo man ein Frühstück bekommen kann. Es ist Viertel vor sechs am Morgen.
Nebenan die Kfz-Werkstatt. Wir wollen ein Glas schwarzen Tee trinken und etwas frühstücken. Die Männer wechseln währenddessen den Reservereifen, der uns auf der Herfahrt kaputtgegangen war. Martin hat Gelegenheit für Fotos. Es war eine wunderschöne Fahrt in den Sonnenaufgang hinein. Allerdings in einem unglaublichen Tempo, wie wir das von den Jungs mittlerweile aber schon gewöhnt sind. Es ist traumhaft hier. Nette, freundliche Menschen, die sofort aufstehen und Platz machen, weil sie sehen, daß die Fremden frühstücken wollen.
Dieses Land ist beeindruckend: uralt, sehr arm, einfach, schlicht, sehr fleißig und sehr gastfreundlich.

Frühstück in Rabotak Kauk, Afghanistan. Foto: Martin Zenker

Nun bringt man den Tee und das Essen: frischen Shashlyk vom Lamm und frischen schwarzen Tee.
Das Essen ist vorzüglich.
Noch ein Lehrstück über „Kundenfreundlichkeit“, wie wir im Westen sagen würden: wir hatten noch keine zehn Minuten hier gehalten, da war die Holzkohle bereitet, das Shashlyk gebraten, der Tee gekocht, der Essplatz gedeckt. Keine zehn Minuten! In Deutschland wäre nach zehn Minuten früh Viertel nach sechs vielleicht ein müder Kellner erschienen, um eine Speisekarte zu bringen….
Die Afghanen sind unglaublich schnell in diesen Dingen. Wir sind so blitzschnell bedient worden – mir soll keiner mehr was erzählen von Kundenfreundlichkeit in Deutschland! Sie sind unglaublich schnell und aufmerksam bei der Bedienung, sehen schon von weitem, wenn man kommt, ob man auf einen Tisch zusteuert: schon wird sicherheitshalber die Holzkohle vorbereitet. Dann müssen die Spieße bereitet werden, dann müssen sie gebraten werden. Alles frisch zubereitet. In Deutschland heißt’s immer: „es dauert etwas länger, wir machen die Sachen frisch“….Hier auch! Aber hier geht’s wirklich fix.
Und der Essplatz ist blitzsauber.
Je länger ich in diesem schönen Land unterwegs bin, um so nachdenklicher werde ich.
Das Gerede von der „deutschen Leitkultur“ wirkt einfach lächerlich in diesem alten Kulturland…..(aus meinem Reisetagebuch „The war is over – der Krieg ist vorbei“. 2003).

Im Jahr 2011 nun beginnt ein Innenminister eine Debatte um die Frage, ob der Islam „zu Deutschland gehöre“. Ich sage dazu: es wäre gut, wenn wir mehr solcher Gastfreundschaft hätten, wie ich sie in Afghanistan erlebt habe. Es wäre gut, wenn wir mehr solcher Großzügigkeit in Deutschland hätten, wie ich sie hier im Lande erlebt habe.

Es würde unserem Land gut tun. Ich habe nirgends auf der Welt – und ich war in sehr vielen Ländern dieser schönen Erde – eine solche herzliche Gastfreundschaft und so guten Service gefunden wie in Afghanistan. Die Menschen geben das Wenige, das sie haben. Aber sie geben sehr großzügig. Ich werde später davon berichten….